Georg Groddeck
    Arzt, Schriftsteller, "Wilder" Analytiker, Sozialreformer
     
  Der Mensch wird vom Unbekannten, dem Unbewussten gelebt. 
    "In ihm ist ein Es, irgendein Wunderbares, das alles, was er tut und 
    was mit ihm geschieht, regelt." Denn was hat das Atmen mit unserem Willen 
    zu tun, was entscheidet, wie unsere Nahrung zerkleinert und verarbeitet wird, 
    welche Instanz bestimmt die Schlagkraft des Herzens? Wir sind Mensch nur auf 
    Grund eines Willensaktes des Alls und des Es. Das Es ist kein Ding an sich, 
    es ist eine Art und Weise des Erkennens, wie Lawrence Durrell, der Bewunderer 
    Groddecks dessen Philosophie erklärt, ein Weg, dem Leben als Mensch entgegen, 
    der Illusion eine Persönlichkeit, ein Ich zu werden.
  Georg Groddeck wird am 13. Oktober 1866 in Bad Kösen 
    an der Saale geboren. Seine Mutter ist die Tochter des Germanisten (und Nietzsche-Lehrers) 
    Koberstein, sein Vater ist Badearzt. Groddeck verbringt seine Kindheit in 
    enger Bindung an seine Schwester im 
Elternhaus, 
    das 1878 versteigert werden muss, nachdem sich der Vater durch Bauspekulationen 
    ruiniert hat.
Im Alumnat Schulpforta legt Groddeck 1885 sein Abitur 
    ab und beginnt eine militärärztliche Ausbildung in Berlin. Er promoviert 
    bei Ernst Schweninger, Leibarzt von Bismarck wie von Cosima Wagner, und wird 
    sein Mitarbeiter. Er entwickelt nach den Methoden Schweningers seine eigene 
    Behandlungstechnik, vor allem in der Massage, der Bädertherapie und der 
    Diätetik.
  Neben seiner ärztlichen Tätigkeit hält 
    Groddeck Vorträge (die er als Teil seiner Therapie betrachtet), betreibt 
    die Gründung eines Konsumvereins und einer Baugenossenschaft und veröffentlicht 
    den Essay "Ein Frauenproblem", 1902, einen autobiographischen Roman 
    "Ein Kind der Erde", 1905, die Erzählung "Der Pfarrer 
    von Langewiesche", 1909, die Vortragszyklen "Hin zu Gottnatur", 
    1909, und "Nasamecu - natura sanat, medicus curat", 1913.
  Unabhängig von Freud entwickelt Groddeck eine 
    neue ärztliche Praxis, überzeugt davon, dass sich auf dem Weg der 
    psychischen Analyse jede Erkrankung des Organismus, gleichgültig, ob 
    sie psychisch oder physisch genannt wird, beeinflussen lässt. Im Ersten 
    Weltkrieg wird Groddeck als Lazarettleiter verpflichtet, gerät wegen 
    zu gründlicher und langwieriger Behandlung der zumeist kriegstraumatisierten 
    Soldaten in Konflikt mit Vorgesetzten und wird schon nach neun Monaten entlassen. 
    
    Beflügelt von seiner Freundschaft mit der Schwedin Emmy von Voigt, die 
    seine zweite Frau wird, und seinen neuen analytischen Ideen, beginnt er seine 
    "Mittwochvorträge" im Sanatorium. Groddecks "Vorträge" 
    (erst 1987 ff. von der GGG in drei Bänden herausgegeben) sind Selbstanalyse, 
    Alltags- und Lebensbeschreibung, Traumdeutung, Bibel- und Märchenauslegung; 
    sie feiern die Vielseitigkeit des menschlichen Lebens und seine Ausdrucksformen 
    durch das Es.
  1917 schreibt Groddeck an Freud, bekennt seinen Wunschgedanken, 
    eigenmächtig auf den Gedanken der Psychoanalyse gekommen zu sein, und 
    schickt ihm seine Schrift "Psychische Bedingtheit und psychoanalytische 
    Behandlung organischer Leiden", die heute als Pionierwerk der Psychosomatik 
    gilt. "Ich muß Anspruch auf Sie erheben", antwortet Freud, 
    "muß behaupten, dass sie ein prächtiger Analytiker sind, der 
    das Wesen der Sache unverlierbar erfasst hat."
    Groddeck umwirbt Freud in seinen Briefen (Briefwechsel Freud-Groddeck, herausgegeben 
    von der GGG 2008) und schickt ihm seine Manuskripte, die, von Freud gefördert, 
    in den Zeitschriften der Psychoanalytischen Vereinigung und im "Internationalen 
    Psychoanalytischen Verlag" erscheinen.
  Neben den Vorträgen eröffnet Groddeck 1918 
    mit der Hauszeitschrift "Satanarium" ein weiteres Therapeutikum. 
    "Mit der Herausgabe dieser Blätter bezwecke ich dem Menschen Gelegenheit 
    zu geben, seine Qual unbehindert, ohne Scham und Scheu hinauszuschreien. Der 
    einzige Ort, wo man schreien kann, scheint mir die Hölle zu sein: deshalb 
    nenne ich diese Zeitschrift >Satanarium<" (herausgegeben von der 
    GGG 1992).
  1921 veröffentlicht Groddeck den psychoanalytischen 
    Roman "Der Seelensucher" (neu herausgegeben von der GGG 1998). Im 
    Seelensucher verbindet Groddeck Analyse mit satirischer Zeitkritik und derber 
    Situationskomik; eigentlicher Motor der Handlung sind Assoziationen, Wort- 
    und Symbolddeutungen, in deren Fallstricken die Protagonisten ihren analytischen 
    Abenteuern erliegen.
  Mit dem 1923 erscheinenden "Buch vom Es" 
    (neu herausgegeben von der GGG 2004) gelingt Groddeck ein wahres Volksbuch 
    der Psychoanalyse: leicht zu lesen und von grandioser Offenheit, ist es eine 
    einzige Variaton über das Thema, wie der gesamte Körper, der kranke 
    wie der gesunde, ein Instrument der Seele ist.
  Groddeck ist ein gesuchter Arzt, in seinem Sanatorium 
    verkehren Patienten der oberen Gesellschaft, Bedürftige behandelt er 
    umsonst.
    Er wird zu Vorträgen in England, Holland und Schweden eingeladen. Seit 
    1920 ist er Mitglied der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung. Beim 
    Psychoanalytischen Kongress im Haag kommt es zu einem spektakulären Auftritt. 
    "Ich bin ein wilder Analytiker", bekennt Groddeck in einer frei 
    gehaltenen Rede, in der er sein Bettnässen analysiert und ungewöhnliche 
    Assoziationen entwickelt. Die meisten Teilnehmer des Kongresses sind über 
    Groddecks Auftritt schockiert.
    Eine enge Freundschaft verbindet ihn mit dem ungarischen Psychoanalytiker 
    Sándor Ferenczi, der sich von ihm auch analysieren lässt (Briefwechsel 
    Ferenczi-Groddeck, neu herausgegeben von der GGG 2006).
  1925 experimentiert Groddeck noch einmal mit einer 
    Patientenzeitschrift. "Die Arche" bringt es auf 62 Nummern, bei 
    einer Auflage von nie mehr als 300 Exemplaren (im Reprint neu herausgegeben 
    von der GGG 2001).
  Als sein letztes Buch erscheint 1932 im Internationalen 
    Psychoanalytischen Verlag, Wien, "Der Mensch als Symbol. Unmaßgebliche 
    Meinungen über Sprache und Kunst" (neu herausgegeben von der GGG 
    2007).
  In Zürich hält Groddeck am 2. Juni 1934 seinen 
    letzten Vortrag, "Vom Sehen, von der Welt des Auges und vom Sehen ohne 
    Augen". In den nächsten Tagen verschlechtert sich sein gesundheitlicher 
    Zustand. Er wird in das Sanatorium von Medard Boss in Knonau überführt, 
    wo er am 11. Juni stirbt. Sein Grab liegt auf dem 
Stadtfriedhof 
    in Baden-Baden. 
In der von ihm mitinitiierten 
Oos-Winkel-Siedlung 
    in Baden-Baden erinnert eine 
Tafel 
    an seine Verdienste. Dort ist auch ein Weg nach ihm benannt. Das ehemalige 
    
Sanatorium Marienhöhe 
    existiert heute - äußerlich kaum verändert - als Hotel Tanneck. 
    In der Stadtbibliothek ist Groddeck eine literarische Gedenkstätte gewidmet. 
    
Am Ort, an dem die Hütte 
    stand, in der er sein "Buch vom Es" vollendete, wurde 1984 ein unterirdisches 
    Denkmal installiert.
Der Georg Groddeck-Nachlass befindet sich seit 1997 
    im Deutschen Literaturarchiv in Marbach am Neckar.
  Die von der Georg Groddeck-Gesellschaft herausgegebene 
    Werkausgabe erscheint im Stroemfeld Verlag, Frankfurt a.M./Basel.