Seelensucher
4. Symposion »Wege zum ES«
 
 
Auch wenn als äußerer Anlaß Groddecks 75. Todesjahr diente, war es ein heiteres Treffen. Sein ES inspirierte uns zu wissenschaftlicher Kreativität, ertragreichen Gesprächen und lustvollem Beisammensein. Über 60 Teilnehmer, nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus den USA, Brasilien und Italien, waren für drei Tage nach Baden-Baden angereist.
Eröffnet wurde die Veranstaltung am Freitagnachmittag durch Otto Jägersberg im Gartenhaus der Stadtbibliothek, das aus allen Nähten platzte. Nach einem Grußwort des Oberbürgermeisters der Stadt Baden-Baden, Wolfgang Gerstner, stiegen wir in die Vorträge ein. Der erste Nachmittag war den philosophischen und literarischen Seiten von Georg Groddeck gewidmet.
Georg Groddeck-Gesellschaft
© Helmut Grosch
Walter H. Krause eröffnete mit dem Vortrag »Groddeck, Nietzsche und der Körper«. Ausgehend von Nietzsches Philosophie des Leibes und seiner Ansicht, daß der Leib dem Geiste überlegen sei, und der Darstellung von Groddecks Leib-Seele-Problem, zeigte er die Nähe Groddecks zu Nietzsche auf.
Otto Jägersberg trug dann zwei frühe Satiren von Groddeck vor: »Einiges über moderne Kollegialität« und »Krankheit«.
Anschließend setzte sich Galina Hristeva aus literaturwissenschaftlichem Blickwinkel in ihrem Vortrag »Angina phlegmonosa. Georg Groddecks Ärztesatiren« kritisch mit seinen Veröffentlichungen aus den 1890er Jahren auseinander. Sie bescheinigte ihnen aber eine herausragende Bedeutung als Meilenstein auf dem »Weg zum ES«.
Im letzten Vortrag des Nachmittags wählte Marie-Luise Wünsche einen anderen Zugang zu Groddecks schriftstellerischer Tätigkeit. Unter dem Titel »Von dem ES, das erzählt, und einem Arzt, der zuhört, bevor er aufschreibt« brannte ihr ES ein Feuerwerk für den psychoanalytisch-psychosomatischen Schriftsteller ab.
Georg Groddeck-Gesellschaft
© Yeon-Shin Kim-Hüppi
Anschließend ging es zur Ausstellungseröffnung ins Alte Dampfbad, wo »Der Hafis-Zyklus« mit Bildern von Alfonso Hüppi eröffnet wurde. Otto Jägersberg hielt die betörende Ansprache: »Goethe, Groddeck, Hafis, Hüppi«, die hier anschließend mit Beispielen von Hüppis Bildern steht. Der Abend fand seinen Ausklang bei weißem »Seelensucher« (Baden-Badener Neuweierer Mauerberg, Riesling Kabinett trocken, 2008) und Brot.
Der zweite Tag des Symposions wurde im Spiegelsaal des Kurhauses abgehalten, wo bereits vor 25 Jahren das erste Georg Groddeck-Symposion stattgefunden hatte (dokumentiert im Groddeck Almanach von 1986). Dieser Tag stand vor allem im Zeichen des psychosomatisch-ärztlichen Wirkens Groddecks.
Zuerst erzählte uns Jürgen Schulz unter dem Titel »Die Geburt der Mutter. Psychotherapie während der Geburt und die Folgen« von seiner Anwendung Groddeckscher Psychosomatik in seiner langjährigen Tätigkeit als Geburtshelfer.
Unter dem Titel »Das Unbewußte am Kathetertisch« ließ uns der Psychokardiologe Jochen Jordan in echt Groddeckscher Manier zunächst tief in sein eigenes Inneres blicken, um uns dann mit den Ängsten und deren Abwehrmechanismen von Patienten und Ärzten in der Kardiologie bekannt zu machen.
Eine anatomische Etage tiefer führte uns Helmut Grosch mit seinem Vortrag »… damit da unten endlich Ruhe reinkommt«. Er berichtete uns aus seiner Praxis als Colonproktologe teilweise sehr humoristisch zu einem Thema, das auch Groddeck häufiger behandelte, die Verdauung und die intensive Beschäftigung zahlreicher Patienten damit.
Den Abschluß bildete ein historisch-feuilletonistischer Vortrag von Helga Elisa Böhler über Karen Horney, eine der wenigen Anhängerinnen Groddecks aus dem Berliner Psychoanalytikerkreis, und die Kultur der Zwanziger Jahre.
Der Nachmittag wurde dann von drei ausländischen Gästen bestritten. Zuerst teilte uns Lazslo Ávila aus Südbrasilien einiges über seine Behandlung lateinamerikanischer Landarbeiter mit. In seinem beeindruckenden Vortrag »Psychoanalytical Psychosomatics with and from Georg Groddeck« zeigte er uns, wie er in Brasilien mit Groddeckscher Psychosomatik sehr hilfreich arbeitet.
Ihm schloß sich der Vortrag »Taktvolle Grenzüberschreitung. Echos und Konsonanzen von Groddeck in der heutigen Arzt-Patient-Beziehung« von Giancarlo Stoccoro aus Italien an. Er befaßte sich vor allem mit Groddeck auf dem Hintergrund der Arzt-Patient-Beziehung und der Arbeit in Balint-Gruppen.
Georg Groddeck-Gesellschaft
© Anne Cost-Schneider
Den dritten Vortrag des Nachmittags hielt Mark Poster: »Ferenczi und Groddeck: Sympatico«. Hier ging es um die Freundschaft der beiden Männer, ihre Beziehung zu Freud und die Entwicklung der Nutzung von Gegenübertragung und mütterlicher Übertragung.
Georg Groddeck-Gesellschaft
© Anne Cost-Schneider
Am Abend wurde dann im Spiegelsaal lustvoll gefeiert bei üppigem Buffet mit weißem (s.o.) und rotem »Seelensucher« (Baden-Badener Spätburgunder, 2006). Helmut Siefert erinnerte in einer kleinen Ansprache an das Symposion an gleicher Stelle vor 25 Jahren.
Der Sonntagvormittag begann wieder im Gartenhaus der Stadtbibliothek mit dem Vortrag von Helmut Siefert »Groddeck und der Struwwelpeter«, mit dem Groddeck sich wiederholt befaßt hatte.
Danach erzählte uns Beate Schuh anhand von Emmy Groddecks Notizen eindrucksvoll einiges über die letzten Tage von Georg Groddeck (»… morgens um fünf war es aus. Das Herz stand still«). Alle waren sehr bewegt.
Georg Groddeck-Gesellschaft
© Sigrid Deussen
Zum Ausklang des Symposions besuchten wir Stätten Groddecks in und um Baden-Baden: die Marienhöhe, das Wohnhaus in der Hans-Thoma-Straße, den ES-Punkt im Wald von Lichtental und sein Grab auf dem Städtischen Friedhof.
Michael Giefer
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